In der jüngsten Vergangenheit erlebten wir, wie die Begriffe «Nachhaltigkeit» und «nachhaltig» in kürzester Zeit die Welt eroberten. Nachdem die Klimadebatte zunächst nur Wissenschaft und Politik beschäftigt hatte, hielt sie allmählich auch in Schulen und Wohnstuben Einzug und die Erkenntnis, dass wir im Begriff sind, unseren Planeten vollends aus dem Gleichgewicht zu bringen, hat sich allgemein durchgesetzt. Nachhaltigkeit wurde zum Gebot der Zeit. Ob beim Reisen, Essen oder Wohnen – als Konsumenten sind wir aufgefordert, uns nachhaltig zu verhalten. Nachhaltigkeit hat sich zum Verkaufsargument gemausert und man ist geneigt anzunehmen, man habe es mit einer neuen Denkweise zu tun.

In Tat und Wahrheit ist das Prinzip der Nachhaltigkeit seit Langem bekannt. Es wurde erstmals 1713 von Hans Carl von Carlowitz in einer forstwirtschaftlichen Publikation erwähnt. Diesem ging es darum, den riesigen Holzbedarf der Bergbauindustrie sicherzustellen, und zwar «nachhaltend», indem nur das nachwachsende Holz unter Schonung des Bestandes genutzt werden sollte. Es handelte sich um die ökonomische Einsicht, dass man langfristig besser nur von den Zinsen zehrt, ohne das Kapital anzutasten. Eine ökologische Absicht bestand damals wohl noch nicht.

Wie sich der Begriff in Richtung Ökologie weiterentwickelte, zeigt ein Ereignis aus der Schweizer Geschichte exemplarisch auf. Es bedurfte einer Katastrophe und diese verschaffte dem Wort «nachhaltig» Einzug in die eidgenössische Gesetzgebung. Extreme Niederschläge führten im Herbst 1868 zu Hochwassern und Überschwemmungen beidseits der Alpen; 51 Menschen fielen den Ereignissen zum Opfer, man spricht von der teuersten Katastrophe zwischen 1800 und dem Hochwasser von 1978. Bei der Aufarbeitung der Ereignisse wurden die Übernutzung der Wälder und grossflächige Rodungen zur Schaffung von Alpweiden als massgebliche Ursachen der Schäden genannt. Diese Probleme waren in Fachkreisen zwar schon länger bekannt, doch erst die Bundesverfassung von 1874, die dem Bund die Oberaufsicht über die Forstpolizei übertrug, ermöglichte die Ausarbeitung des «Bundesgesetzes … über die Forstpolizei im Hochgebirge». Von da an ging es sehr schnell, das Gesetz trat schon 1876 in Kraft und die Bestimmungen zum Schutz des Waldes waren radikal: Seither stehen ununterbrochen die zwei Pfeiler der schweizerischen Forstpolitik, nämlich die nachhaltige Holznutzung sowie die Erhaltung der Waldfläche bzw. das Rodungsverbot. Seit bald 150 Jahren haben somit die Förster den Auftrag und das Privileg, gemäss den Anforderungen der Nachhaltigkeit zu handeln. Man sieht, das Prinzip ist nicht neu und sehr erfolgreich.

Die ökologischen Folgen des Gesetzes können nicht hoch genug eingeschätzt werden. Eine direkte Auswirkung des Rodungsverbotes ist unter anderem die Erhaltung ungestörter Waldböden und ihrer Funktionen – z. B. die Sicherung der Qualität des Grundwassers – schon hundert Jahre vor der Einführung des Raumplanungsgesetzes (1980).

Zurück zu heute: Das Prinzip der Nachhaltigkeit hat, in einem alten Gesetz versteckt und von den meisten nicht bemerkt, schon seit 150 Jahren im Stillen zur Erhaltung der Umwelt beigetragen. Seine ursprüngliche Bedeutung ist gewachsen, zur Ökonomie trat die Ökologie und heute mag man vielleicht, da alle sich des Ausdrucks bedienen, eine gewisse Verwässerung feststellen. Der guten Sache tut dies aber keinen Abbruch. Wir erleben, wie ein alter Begriff sich verjüngt und unserem Denken und Fühlen eine neue Richtung weist.

François Schnider
Dipl. Forsting. ETH,
Bodenkundliche Gesellschaft der Schweiz (BGS)

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