Der Mensch ist ein sonderbares Wesen. Obwohl er als einzige von rund 20 Millionen Arten von Lebewesen gleichzeitig über Herz, Sinne, Verstand und potentiell Vernunft verfügt, führt er sich heute auf wie ein überhebliches „Un-Wesen“. So, als ob unsere gemeinsame Erde mehrfach so gross wäre wie sie ist und nur ihm allein gehören würde. Er hat Wesentliches aus dem Auge verloren oder verdrängt, nämlich nicht nur wie alle andern Lebewesen zu leben und sich fortzupflanzen, sondern die Lebensgrundlagen so den Nachkommen zu hinterlassen, dass sie zusammen mit den andern Lebewesen ebenfalls lebenswert leben können. Dies ist nicht mehr gesichert, da er zurzeit die gelebten und unbelebten Ressourcen ausbeutet, sie verbraucht, die Ökosysteme überfordert, die Umweltgüter Boden, Wasser und Luft als Abfalldeponie missbraucht. Die menschverursachte Klimaerwärmung ist am Gravierendsten, da sie nicht nur wie bei andern Umweltschäden lokal-regionale und kurzfristige, sondern globale und langfristige Folgen hat. Dieses Verhalten ist unverständlich, gehören wir doch alle nur noch zu einer Unterart mit dem nicht sonderlich nachgelebten Namen „weisester Mensch“ Homo sapiens sapiens. Alle übrigen Menschenarten, -gattungen und –familien sind in den letzten 2,5 Millionen Jahren ausgestorben.
Wie kam es so weit? Rund 500‘000 Jahre lebten die Menschen der Art Homo sapiens als Jäger und Sammler als Teil und im Einklang mit der Natur. Erst nach dem Übergang zum Viehzüchter und Hirten vor ca. 15‘000 Jahren und vom Nomaden zum sesshaften Ackerbauer vor ca. 10‘000 Jahren griff er in die Natur ein und verlor ihr gegenüber die Unschuld. Mit Grabstock, später mit Hacke und Pflug verletzte er den Boden und begann Umwelt, Boden, Gewässer und Luft zu verändern und schliesslich zu belasten. Ackerbau und Viehzucht waren mit der Emission von Kohlendioxid (CO2), Lachgas (N2O) und Methan (CH4) der Start zur menschverursachten Klimaänderung. Dies war die erste menschliche Revolution, die neolithische oder Agrar-Revolution. Die zweite klimarelevantere Revolution war die industrielle Revolution, welche anfangs bis Mitte 19. Jahrhundert mit dem massiven Abbau und der Nutzung von Ressourcen der Erde, speziell von Kohle, Erdöl, Erdgas und Torf einsetzte. Diese fossilen Energiequellen, während Jahrtausenden primär aus Lebewesen gebildet, wurden und werden noch heute durch eine einzige Art von rund 20 Millionen Arten von Lebewesen auf der Erde, uns Menschen, ausgebeutet. Dabei entweicht das Treibhausgas CO2 aus Industrie, Verkehr und Haushalt/Gebäuden in die Atmosphäre, zudem durch Abholzung, Brandrodung und landwirtschaftlichen Humusabbau. Weitere Treibhausgase sind CH4 von Wiederkäuern und Termiten und Reisanbau sowie N2O aus stickstoffhaltigen Düngern.
Schon lange wurde prognostiziert und gewarnt, dass die extreme Emissionszunahme der Treibhausgase zu einem Temperaturanstieg und einer Klimaänderung führt und einschneidende Folgen für die Ökosysteme, die Nahrungsmittelproduktion und die Menschen haben wird. Die Nationale UNESCO-Kommission und die Schweiz. Naturforschende Gesellschaft beispielsweise veröffentlichten bereits 1982 eine Broschüre „Wie wir unsere Erde zum Treibhaus machen. Unterwegs zur Klimakatastrophe durch Kohlendioxid“ und der Scheibende betitelte 1994 in der AGRARFORSCHUNG den Leitartikel „Klimaänderung – eine Herausforderung für die Landwirtschaft“. Inzwischen sind die Prognosen bittere Realität geworden, wurden wissenschaftlich einwandfrei bewiesen und z.B. als IPCC-Berichte publiziert. Die Konzentration der Treibhausgase in der Atmosphäre hat vor allem seit 1950 exponentiell zugenommen, Lufttemperatur und Meeresspiegel steigen an, extreme Hitzeperioden sowie Starkniederschläge nehmen zu. Folgen sind u.a. Gletscherschwund, Dürre, Wassermangel, Überschwemmungen, Ertragseinbussen, Steinschläge, Murgänge, Klimaflüchtlinge.
Vernünftigerweise müsste der Mensch reagieren und handeln, die Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, jeder einzelne. Noch gibt es verblendete und verblendende Klimaleugner und Klimazweifler. Trotz wissenschaftlich erhärteter Prognosen und Fakten, trotz Abkommen von Rio oder Paris ist das notwendige konkrete Handeln der entscheidenden Akteure ungenügend. Es fehlt(e) der entscheidende Schritt vom Wissen zum Handeln und bedurfte des eindrücklichen Weckrufs der Schülerin Greta Thunberg und der Klimajugend, die sich Sorgen um ihre Zukunft machen. Die Erfahrung aus andern Umweltbereichen zeigt: weder Negieren des primär menschverursachten Klimawandels, Resignieren („ich allein kann ja sowieso nichts machen“) noch Schlagwörter wie Klimakiller, Klimakatastrophe, Klimaalarm und Klimasünder sind nachhaltig und langfristig überzeugende Motoren zum Handeln. Notwendig ist eine dritte menschliche Revolution, eine Kulturrevolution, eine Wertekultur. Der Klimawandel bietet eine Chance für einen menschlichen Kulturwandel. Das Wort Kultur leitet sich vom Verb colere ab, was „bebauen, bestellen, pflegen, Sorge tragen“ sowie „verehren, anbeten, wohnen“ bedeutet und zeigt die Stossrichtung auf. Der kultivierte Mensch besinnt sich darauf, dass er als einzige Lebewesensart Verstand, Herz und Sinne holistisch einzusetzen fähig ist, dass er für das nachhaltige Schützen und Nutzen der anvertrauten Ressourcen verantwortlich ist. Er geht pfleglich, achtsam und sorgend mit der Erde, unserer gemeinsamen Wohnung, der Natur um. Er ist sich bewusst: wer das Klima nachhaltig schützen will, muss es vor dem Menschen schützen, wer den Menschen schützen will, muss das Klima schützen. Somit wählt er ausschliesslich klimaschutzaktive Politiker/innen, unterstützt (bei Abstimmungen) Klimaschutzmassnahmen wie ein griffiges CO2-Gesetz, eine Dekarbonisierung, eine alle Sektoren umfassende CO2-Bepreisung z.B. durch eine Lenkungsabgabe (inkl. Treibstoffe), berücksichtigt klimafreundliche Firmen (vgl. diese Nummer) bei Aufträgen und beim Kauf von Produkten, investiert in gerechte, ökologisch und sozial nachhaltige Anlagen, kauft klimafreundlich produzierte und transportierte Nahrungsmittel und andere Konsumgüter, vermeidet durch Flug-, Auto- und Schiffverkehr, hohe Heiztemperaturen, Fleischkonsum, Wegwerfen von Nahrungsmitteln direkt oder indirekt verursachte Treibhausgas-Emissionen, hinterfragt das Wachstumsdogma.
Klimagerechtes und klimafreundliches Verhalten wie Masshalten und Genügsamkeit (Suffizienz), Respekt und Bescheidenheit bedeutet einen Gewinn für den Menschen: bewusstes und gespürtes Erfahren des eigenen Daseins und Soseins mit allen Sinnen, Lebensqualität, Gesundheit, geistige und physische Beweglichkeit, Wohlbefinden, Entschleunigung, Musse und Zeit für menschliche Kontakte, Natur- und Kulturerlebnisse (Kunst, Musik etc.). Der Blick eines strahlenden Kindes ist mehr wert als der Blick am Steuer auf eine Blechlawine auf der Autobahn. Das Betrachten einer Ameisenkolonie, das Lauschen eines Vogel- oder Froschkonzerts, das Einatmen frischer Waldluft beim Wandern, das Bestaunen der Farben- und Formenvielfalt einer Natur- oder Alpwiese ist beglückender als bei einer Kreuzfahrt das Aussterben des letzten Eisbären mitzuerleben. Wenig tiefgründig erlebt kann mehr bedeuten als viel nur oberflächlich.
Wer aktiv etwas für den Klimaschutz tut, wer handelt hofft und strahlt Hoffnung aus, glaubt an eine lebenswerte enkeltaugliche Zukunft, liebt alles Seiende, die allerliebsten Nächsten, alle heutigen und künftigen Menschen, die heutige und künftige Schönheit und Vielfalt der Natur. Oder, um es mit den Worten des dieses Jahr verstorbenen lateinamerikanischen Priesters und Poeten Ernesto Cardenal zu sagen: „Der Mensch ist eine Erfindung der Liebe und wurde geschaffen zur Liebe“. Ein solcher Mensch erweist sich seines Namens „weiser Mensch“ würdig.
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