Schon als Kind war ich fasziniert von der Natur. Ich fing Frösche, hörte den Gesängen der Heuschrecken zu und begeisterte mich für die Kletterkünste der Steinböcke. Im Biologiestudium lernte ich, dass die Natur nicht aus einzelnen isolierten Arten besteht. Tier-, Pflanzen- und Pilzarten bilden Lebensgemeinschaften. Diese funktionieren wie eine perfekte Kreislaufwirtschaft. Pflanzen bauen mithilfe von Sonnenlicht lebende Zellen auf. Pflanzenteile werden von Tieren gefressen. Diese Tiere werden von anderen Tieren gefressen. Tote Lebewesen werden von Pilzen und anderen Arten zersetzt. Daraus entsteht «Dünger» für das Wachstum der Pflanzen. 

Wir sind von der Biodiversität abhängig

In einem Buchenwald sind rund 5000 Tier-, Pflanzen- und Pilzarten an diesem Kreislauf der Natur beteiligt. Das ist Biodiversität. Wir Menschen sind davon abhängig. Wenn Fliegen oder andere Dung abbauende Lebewesen fehlen würden, müssten wir bald knietief in Kuhscheisse waten. Die Biodiversität in der Schweiz ist in der Krise. 35 % der Tier- und Pflanzenarten stehen auf den roten Listen, weitere 12 % potenziell gefährdet. Viele Lebensgemeinschaften funktionieren schlechter, werden gleichförmiger und instabiler. Zum Beispiel nehmen die Blütenpflanzen ab, weil die Insekten fehlen, welche die Pflanzen bestäuben können. Die Klimaüberhitzung verschärft die Biodiversitätskrise. 

Die Bewältigung der Klimakrise und der Biodiversitätskrise müssen deshalb gemeinsam angegangen werden. Dazu müssen Erdöl, Erdgas oder Uran durch die erneuerbaren Energien ersetzt werden. So wie an meinem Arbeitsplatz, der seit 20 Jahren mit Strom aus einer Photovoltaikanlage gespiesen wird.

Lehren aus der Vergangenheit ziehen

Biodiversitätskrisen gab es schon früher. Vor 150 Jahren war der Bedarf an Holz und Torf so gross, dass in der Schweiz ganze Berghänge kahl geschlagen wurden und fast in allen Mooren Torf zu Heizzwecken abgebaut wurde. Die Folgen waren katastrophal. Der Boden konnte weniger Wasser speichern. Es kam zu Erdrutschen und Überschwemmungen. Aus dieser Biodiversitätskrise hat man gelernt, dass erneuerbare Energien nicht im Übermass genutzt werden dürfen. Ihre Nutzung muss nachhaltig sein. Bei der Holznutzung hat man das verstanden. Wie steht es bei anderen erneuerbaren Energien? Bei der Wasserkraft gibt es das Label Naturemade Star. Wasserkraftwerke mit diesem Label vereinen Klima- mit Biodiversitätsfreundlichkeit. Bei der Photovoltaik gibt es ein riesiges klima- und biodiversitätsfreundliches Potenzial auf bestehenden Gebäuden und Infrastrukturanlagen. Auch bei Windkraft lässt es sich biodiversitätsfreundlich produzieren, allerdings nicht an jedem Standort. 

Die Energieverschwendung stoppen

Damit die Klimakrise bewältigt wird, braucht es zwei weitere Schritte: Die Energieverschwendung muss gestoppt werden. Rund ein Drittel der aufwendig produzierten Energie wird sinnlos verschwendet. Der dritte Schritt heisst, genügsamer zu werden. Beinahe dreimal die Erde würde benötigt, wenn alle Menschen so leben würden wie Herr und Frau Schweizer. Unser derzeitiger Energiehunger lässt sich nicht nachhaltig stillen. Mit allen drei Schritten zusammen, dem Ersatz von Gas, Öl und Kohle, dem Stopp der Energieverschwendung und der Verkleinerung unseres Energiehungers können wir die Klima- und Biodiversitätskrise bewältigen, bevor sie unsere Existenz bedroht.

Autor

Dr. Urs Tester ist Abteilungsleiter Biotope und Arten und Mitglied der Pro Natura Geschäftsleitung.

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