Sind Sie schon aktiv oder schämen Sie sich noch?

Flugscham? Ja die gibt es tatsächlich: In Schweden geben immer mehr Menschen an, aus Scham auf die Benutzung von Flugzeugen zu pfeifen. Als Folge davon gehen die Passagierzahlen zurück und die Alternativen an Land, insbesondere Nachtzüge, erleben eine Renaissance. Doch warum sollte man sich schämen?

Wir stecken inmitten einer Klimakrise und sehen die fatalen Auswirkungen weltweit und in der Schweiz immer deutlicher. Das Haus, in dem wir alle leben, brennt und wir sollten löschen, statt weiterhin Brandbeschleuniger draufzukippen. Das Fliegen ist ein solcher Brandbeschleuniger: Mit keiner anderen Tätigkeit kann ein Mensch in so kurzer Zeit so viel Klimaschaden verursachen wie mit dem Fliegen. Ein 12-Stunden-
Flug verursacht pro Kopf ungefähr gleich viele Emissionen wie eine durchschnittliche Schweizer Person in einem ganzen Jahr.

Ist es wirklich so schlimm, dass wir uns für das gewohnte Verhalten schämen sollten? Die Wissenschaft ist klar: Hitzewellen, Dürren und Extremwetter mit schlimmen Folgen häufen sich wegen der menschgemachten Klimagase. Und wenn wir innerhalb der nächsten zehn Jahre unsere Emissionen nicht deutlich absenken, könnte das ganze Klimasystem ausser Kontrolle geraten. Die Erde könnte zu einem «Heisshaus» werden. Viele Menschen würden ihre Lebensorte für immer verlieren.

Und fliegen ist bei Weitem nicht die einzige klimaschädliche Handlung. Bald reden wir vielleicht von der Fleisch- oder Butterscham (für Butter werden etwa 100-mal so viele Treibhausgasemissionen wie für Kartoffeln aufgewendet und etwa 1.75-mal so viele wie für Rindfleisch), der Grossbank- und SUV-Scham, der Ölheizungs- und der Konsumscham …

Die entscheidende Frage ist wohl, was noch passieren muss, bis wir alle für die Lösung aktiv werden.

Braucht’s dafür noch mehr Rekorde (wie z. B. dass die 20 heissesten je gemessenen Jahre in den letzten 22 Jahren liegen)? Braucht’s schlimmere Dürren und Ernteeinbussen, bis die Bauernschaft den bisher eingeschlagenen Kurs verlässt und in Bern für wirksame Massnahmen stimmt? Braucht’s mehr Menschen, die eine Grossmutter oder ein Kleinkind wegen der Hitzewellen verlieren (das sind die besonders gefährdeten Bevölkerungsgruppen)?

Doch ist die Krise erst mal sehr real, scheint Handeln plötzlich erste Wahl! Wenn auch auf den letzten Drücker, so doch vielleicht noch rechtzeitig, werden in ganz Europa und in der Schweiz immer mehr Menschen aktiv. Erst mal seit Langem stagnieren die Passagierzahlen in Kloten, immer mehr Menschen fragen nach veganen Menus, nachhaltige Wohnformen mit geteilten Wohnräumen boomen. Und Zehntausende Menschen folgen dem Aufruf der Jugendlichen zum Klimastreik und verändern mit ihrem Wahlverhalten die Parlamente. Sie zeigen: Wenn wir zusammen aktiv sind, dann können wir die Regeln für uns alle verändern.

Das macht Mut, denn daran gibt es keine Zweifel: Wenn wir aktiv werden, dann lösen wir auch dieses Problem. Je mehr Menschen zeigen, dass man zukunftstauglich und zufrieden leben kann, desto mehr werden nachfolgen. Danke für Ihr Engagement.


Georg Klingler, Leiter Klima, Greenpeace Schweiz